Für Sie gelesen!
Aufdecker-Buch im Fall Wirecrad
Für Sie gelesen: Buch zum Wirecard-Skandal mit neuen Details
Wie wir bereits in unserem Facebook-Kanal angekündigt haben, ist jüngst ein Buch zweier Journalisten der „WirtschaftsWoche“ über den Wirecard-Skandal erschienen („Die Wirecard Story – Die Geschichte eine Millionen-Lüge“, FBV, ISBN 978-3-95972-415-9). Vereinsobmann Mag. Oliver Jaindl hat das Buch dieser Tage durchgearbeitet. Folgende Inhalte in dem Buch scheinen erheblich (selbstverständlich sei erwähnt, dass für alle Verdächtigen in Strafverfahren die Unschuldsvermutung gilt):
- Die Wurzeln des einstigen DAX-Aufsteigers liegen in Internet-Bezahldiensten mit (später verbotenen) „Dialern“ für die Erotik-Industrie. Später verlagerte sich das Geschäft in Richtung von Zahldienstleistungen für die Glücksspiel-Industrie.
- Dies mag zwar etwas anrüchig wirken, die Probleme fangen aus Investoren-Sicht aber in Wahrheit woanders an: Damit Wirecard in den frühen Nuller-Jahren hohe Margen für Bezahldienstleistungen weiter abgreifen konnte, musste man am riskanten Geschäftsmodell „Glücksspiel“ festhalten (Anfechtungen von Zahlungen durch Spielsüchtige, drohende drakonische staatliche Maßnahmen wegen illegalem Glücksspiel im Internet…)
- 2006 schränkten die USA das Glücksspiel im Internet weitreichend ein.
- Erstmals hätte daher Wirecard im Oktober 2006 dem Kapitalmarkt kommunizieren müssen, dass eben nicht alles so „rund“ läuft wie offiziell dargestellt, zumal Wirecard damals wesentliche Teile der Einnahmen aus dem Titel „Glücksspiel“ bestritt. Warum nicht schon damals Abschlussprüfer und/oder Börsenaufsicht udgl. einschritten, erscheint rätselhaft (Buch: Seite 60f).
- Es scheint laut den Autoren so zu sein, dass danach wesentliche Teile der - in den USA verbotenen - Glückspielumsätze via englischer Blumen- und Tierfutter-Portale im Netz verschleiert wurden. Warum ausgerechnet Blumen- und Tierfutter-Portale? Weil Geldtransaktionen zu diesen Portalen mit anderen Codes als Transaktionen zu Casinos versehen werden: Damit seien Glücksspiel-Transaktionen verschleiert worden.
- Aufgrund von intransparenten Strukturen des Konzerns mit Akquisitionen in Gibraltar, den Britisch Virgin Islands und Irland kam es 2008 seitens deutscher Anlegerschützer zu heftiger Kritik; leider verstrickten sich die Anlegerschützer und einer ihrer Verbündeten in einen Short-Selling-Skandal, da sie parallel zu ihrer Kritik auch auf eine negative Entwicklung der Wirecard-Aktie gesetzt und dies nicht offengelegt hatten. Folglich wurden die Aufdecker zu den Bösewichten abgestempelt und erstmals ein trügerisches Kapitalmarkt-Klima geschaffen, dass die Kritiker die „Bösen“ wären und Wirecard das „gute Wachstumsunternehmen“ sei, zumal jede Bilanz besser war als die zuvor. Dennoch hätten die auffälligen Off-Shore Strukturen bereits damals Anlass zu eingehenderen Prüfungen geben müssen.
- 2008 wird in diesem Zusammenhang erstmals EY mit einem Gutachten bezüglich der Unbedenklichkeit diverser Aktivitäten beauftragt, das im Sinne Wirecards ausfällt (Seite 80).
- 2010 erstattete der Short-Seller unter einem Pseudonym in München bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige und informiert die Aufsichtsbehörde BaFin. Das Ergebnis kam dann nicht unerwartet: Der Informant saß sicher hinter Gitter (Marktmanipulation), im WC-Vorstandsbüro strahlten alle Lichter.
- Es folgten Akquisitionen zu nicht nachvollziehbar hohen Preisen (Seite 94ff).
- 2014 analysiert ein Wirtschaftswissenschaftler aus eigenem Antrieb die Zahlen von Wirecard. Die Zahlen ergaben einen Überschuss von 250 Millionen €, der aus der „Mechanik“ des Geschäftsmodells nicht erklärbar war. Er sprach darüber mit Journalisten (Seite 97ff).
- Wie erst eine Aussage 2020 bei der Staatsanwaltschaft ergibt, soll 2015 die Wirecard-Spitze den Entschluss gefasst haben, den Konzern weiterhin in der Öffentlichkeit mit rapidem Wachstum darzustellen, so die Autoren. Spätestens hier sei der Entschluss gefallen, nicht existente Geschäftsabwicklungen bei Partnern für diese Schein-Wachstumsstory zu fingieren (Seite 244ff).
- 2017 begannen laut dem Buch vermeintlich „sprudelnde“ Umsätze für Wirecard in Fernost. Diese wurden nicht beanstandet, obwohl einfache Internet-Recherchen und Anrufe bei angeblichen „Kunden“ von Wirecard-Partnern rasch ans Licht gebracht hätten, dass diese Geschäftsverbindungen so offenbar nicht existieren.
- Ab 2013 dürfte es bereits zu fragwürdigen Geschäften mit Wirecard-Auslandstöchter gekommen sein (Seite 119ff). Wie erst der spätere KPMG-Bericht zu Tage gefördert habe, habe die Wirecard-Buchhaltung niemals hinterfragt, ob es tatsächlich zu Zahlungen gekommen sei; man begnügte sich mit Angaben am Papier zu angeblichen Treuhandkonten, statt Geldbestände nachzukontrollieren – Abschlussprüfer EY soll das alles akzeptiert haben und bestätigte die Jahresabschlüsse.
- Weiters wurde offenbar kaum geprüft, ob und in welchen Ausmaß Angaben zur Geschäftsentwicklung von Wirecard insgesamt etwa zu erzielbaren Margen/Umsätzen mit Großkunden wie Aldi udgl. passen konnten (Seite 127f). Die Diskrepanz zwischen mageren Margen und propagierten fulminanten Geschäftsentwicklungen fiel Prüfern nicht auf.
- 2016 wurde im Report des Analysehauses „Zatarra“ auf viele der Problemfelder des Konzerns inkl. der fraglichen Vergangenheit im Bereich Glücksspiel-Zahlungen hingewiesen. Die Autoren werden Opfer einer Schmutzkübel-Kampagne (Seite 140ff).
- 2016 und 2017 meldeten EY-Prüfer bereits Bedenken wegen der „Werthaltigkeit“ der Aktivitäten des Konzerns in Asien (Seite 145f). Reaktion: Keine.
- Treppenwitz rund um das undurchsichtige Fernost-Geschäft von Wirecard: Einer der Stake-Holder für einen anonymen „Investor“ in eine „Lebensversicherung“ ist just jener Konzern, in dem der skandalträchtige frühere Finanzvertrieb AWD (Fall Immofinanz) aufgegangen ist (Seite 181).
- Manger Braun pflegt Kontakte zu Kanzler Sebastian Kurz. Der flüchtige Jan Marsalek (kurios: er hatte eine lebensgroße Donald Trump-Statue im Büro stehen, Anm.) wiederum zu Ex-Minister Herbert Kickl. Marsalek soll zum russischen, amerikanischen und israelischen Geheimdienst Kontakte pflegen (Seite 162 bzw. Seite 184ff) und für Geheimdienst-Leute Kontoverbindungen „eingefädelt“ haben.
- Kritische, aber wahre Berichte der „Financial Times“ wurden systematisch in Misskredit gebracht; da es bereits einmal gelang, Kritiker mundtot zu machen, wurde dieses Vorgehen wieder in die Tat umgesetzt und ab 2016 bewusst eine Nähe der Journalisten zu Short-Seller konstruiert (Seite 165ff), schreiben die Autoren. Dies hielt die Berichterstattung auf. Artikel wurden daher erst nach der Begebung von Anleihen im Volumen von 1,4 Mrd. € veröffentlicht (und somit noch mehr Anleger geschädigt, Anm.; Seite 191).
Prüfer als auch BaFin glaubten der letztlich unwahren Darstellung des Unternehmens, Behörden gingen gegen solide berichtende Journalisten vor und verfolgten sie ab Mai 2019 mit Strafverfahren, statt auf Basis der sauber recherchierten Berichte den Konzern einer genaueren Prüfung zu unterziehen. - Seite 169: Im Buch wird genau das bestätigt, was durch die Auswertungen von COBIN claims bereits nachgewiesen und medial kommuniziert wurde (Bericht im „Standard“, siehe letzter Newsletter): Die BaFin hat mit ihrem Verhalten wesentlich dazu beigetragen, dass für Anleger ein trügerisches Kapitalmarktklima geschaffen wurde, das gutgläubige Anleger ab Mai/Juni 2020 zu Käufe einer im freien Fall befindlichen Aktie motivierte.
- Dass die BaFin nur die Wirecard-Bank, nicht aber den Konzern prüfen hätten dürfen, wie die Behörde gerne vermittelt, stimme so nicht (Seite 169): Die Prüfung der Bank hätte auf den Konzern derart viel Druck ausgeübt, dass Malversationen vermutlich viel früher aufgeflogen wären und der Schaden für Anleger somit geringer gewesen wäre, zumal Wirecard in den letzten Jahren rund zehn Millionen € oder mehr pro Woche (10 Mio. €/Woche) „verbrannt“ habe (Seite 176).
- Bereits 2019 hätte aufgrund einer einfachen Analyse öffentlicher Aussagen von Wirecard-Managern auffallen müssen, dass angebliche neue margenträchtige MCA-Geschäfte reine „Geister-Kredite“ sein müssen, da sie nach Aussagen der einen Manager in Südamerika, andere Manager wiederum in Europa vergeben werden würden. Smarte Short-Seller hatten damals aber genau hingehört und ihre Positionen noch erhöht, da damals für verständige Kapitalmarktteilnehmer klar wurde, dass Wirecard offenbar nicht einmal mehr darüber bescheid wusste, wo man eigentlich welche Geschäfte macht.
- Einige Seiten widmet das Buch auch den Aufsichtsräten: Diese sollen ab 2008 auf Basis erzielter Umsätzen entlohnt worden sein – sprich: Je mehr (Schein?-)Umsatz von den Kontrolloren abgesegnet wird, desto besser verdienten die Aufseher. Unter Ihnen war der Sohn von Ex-Bundespräsident Klestil. Er sei laut dem Buch aber einer der wenige gewesen, der gegen Braun aufgetreten sei, wenngleich er aber auch für Aufsichtsräte anderer Unternehmen vergleichsweise hohe Vergütungen angenommen haben soll (Seite 202ff). Ab 2020 kehrte aber mit dem neuen Aufsichtsrats-Chef eine neue Kultur in das Unternehmen ein, die das Auffliegen des Skandals förderte.
- Die Autoren haben weiters sehr genau herausgearbeitet, wie letztlich 2019/2020 Wirecard nicht mehr umhinkam, mit der KPMG weitere Prüfer zu engagieren. Besuche in Fernost-Asien bei einem angeblichen Treuhänder, der knapp zwei Milliarden € an liquiden Wirecard-Mitteln halten sollte, entpuppte sich gegenüber dem vereinigten Prüfer-Tross von EY und KPMG als eher fragwürdiger Geschäftsmann; die Filialen angeblicher Treuhandgeld-Depotbanken in eher heruntergekommenen Vierteln machten weiters nicht den Eindruck, dass es sich hier um seriöse Geschäftsverbindungen handelt (Seite 225ff).
- Auffällig ist, dass diese angeblichen Milliarden-Einlagen (Seite 238) Wirecards als Euro-Fremdwährungs-Bestand in den Bilanzen der als klein beschriebenen Banken auffindbar sein hätten müssen. Diese wohl über das Internet leicht zu recherchierende Zahl wurde aber von den Prüfern nie abgefragt. Es wäre schnell ans Licht gekommen, dass keine der Banken über einen Vorrat an Euro verfügt hat, der nur annähernd die Höhe der von Wirecard angegebenen Summe erreichte. Eine einfache Recherche der Prüfer hätte somit rasch ergeben, dass die kleinen Banken niemals die enormen Summen an Euro auf Konten gehabt haben konnten, wie es Wirecard dazustellen versucht hatte.
- Als Kronzeuge scheint sich nun Ex-Manager Bellenhaus heraus zu kristallisieren, der die anderen Manager schwer belastet. Marsalek suggerierte auf der Flucht per SMS einem befreundeten PR-Mann, dass er mit Geld untergetaucht sei.
Grundsätzlich ist zu dem Buch zu sagen, dass es das erste „Skandal-Kompendium“ rund um den Fall Wirecard ist und natürlich noch weitere, erhellende Tatsachen ans Licht kommen werden. Auch sind im obigen Kurz-Abriss noch längst nicht alle skandalträchtigen Nebenschauplätze der Affäre dargestellt.