Müssen Geschäftsführer Schadenersatzansprüche geltend machen?

Der vorliegende Text beschäftigt sich in prägnanter Form mit der Frage, ob Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder einer Kapitalgesellschaft rechtlich zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen der Gesellschaft im Prozessweg verpflichtet sind. Der Aufsatz wurde von den Mitgliedern des Beirates Rechtsanwälte verfasst.

  1. Pflichten der Geschäftsführer/Vorstandsmitglieder

Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder einer Gesellschaft schulden keinen Erfolg, sondern müssen im Rahmen der Geschäftsführung die branchen-, größen- und situationsadäquate Sorgfalt aufwenden.[1] Der praktische Schwerpunkt der die Geschäftsführer treffenden Pflichten liegt in der fachlich einwandfreien Leitung der Gesellschaft.[2] Dabei kommt es auf die Verhältnisse der konkreten Gesellschaft, d. h. auf eine Einzelfallbeurteilung an.[3]

Wird eine (kapitalistische) Gesellschaft wegen deliktischen oder vertragswidrigen Verhaltens des Geschäftsführers in Anspruch genommen, so kann sie gem § 25 Abs 2 GmbHG bzw. § 84 Abs 2 AktG Regress nehmen.

  1. Der anzulegende Sorgfaltsmaßstab

Grundsätzlich sind die Geschäfte so sorgfältig zu führen, wie es Art und Umfang der Gesellschaft erfordern (§ 1189 ABGB). Der allgemeine Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach § 1299 ABGB, der auf „eigene Kunstkenntnisse“ und „nicht gewöhnlichen Fleiß“ abstellt. § 25 Abs 1 GmbHG und § 84 Abs 1 AktG erwähnen die Maßfigur des „ordentlichen Geschäftsmannes“. Konkretisierend wurde hier mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015[4] in § 25 Abs 1a GmbHG und in § 84 Abs 1a AktG die Business Judgement Rule eingeführt, der zufolge ein Geschäftsleiter jedenfalls in Einklang mit der gebotenen Sorgfalt handelt, wenn er sich bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessener Informationen annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

  1. Zivilrechtliche Haftung aufgrund unterlassener Prozessführung

Bei Prozessführungen der Gesellschaft sind Erfolgsaussichten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht abzuwägen.[5] Die Geltendmachung von Ansprüchen fällt grundsätzlich in den Ermessensspielraum des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung. Der Geschäftsführer muss sich aber informieren und eine einzelfallbezogene Entscheidung treffen: Wenn eine Prozessführung kostengünstig und risikolos möglich ist, verstößt eine unterlassene Prozessführung unter Umständen gegen das Gebot der anzuwendenden branchen-, größen- und situationsadäquaten Sorgfalt. Der deutsche BGH hat in diesem Zusammenhang judiziert, dass einen Aufsichtsrat im Falle der überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Durchsetzbarkeit eines Schadenersatzanspruchs gegen ein pflichtwidrig handelndes Vorstandsmitglied eine Rechtspflicht zur Geltendmachung trifft.[6] Diese Wertung lässt sich auch auf Vorstandsmitglieder im Verhältnis zu Dritten, gegen die die Gesellschaft Haftungsansprüche hat, übertragen, wobei der BGH dem Vorstand (im Zuge der Klärung einer Vorfrage) einen weiten haftungsrechtlichen Ermessenspielraum gewährte.

  1. Zivilrechtliche Haftung aufgrund fehlgeschlagener Prozessführung

Umgekehrt kann allerdings auch eine mutwillige Prozessführung pflichtwidrig sein. Eine solche Pflichtwidrigkeit unter Berufung auf § 1305 ABGB erst bei aussichtsloser Prozessführung anzunehmen, trifft nicht zu, da diese Bestimmung nur verhindern will, dass jemand aufgrund drohender Schadenersatzforderungen der belangten Partei von einer Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe Abstand nimmt. Im Rahmen des § 25 GmbHG geht es aber vielmehr darum, zu bestimmen, ob fremdes Vermögen pflichtgemäß verwaltet wurde, sodass eine Pflichtwidrigkeit schon bei hoher Wahrscheinlichkeit des Prozessverlustes anzunehmen ist. Geymayer vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass ein Gesellschaftsschaden aufgrund fehlgeschlagener Prozessführung (nur) dann Ersatzansprüche der Gesellschaft auslöst, wenn die Grenzen verantwortungsbewussten unternehmerischen Handelns oder verantwortungsbewusster Risikobereitschaft deutlich überschritten wurden.[7]

Ein Weisungsbeschluss der Gesellschafter wirkt grundsätzlich haftungsentlastend (§ 25 Abs 5 GmbHG; § 84 Abs 4 AktG). Die Verpflichtung zum Schadenersatz bleibt aber bestehen, wenn den Gesellschaftern entscheidungserhebliche Informationen pflichtwidrig vorenthalten wurden.

  1. Strafrechtliche Aspekte

Die strafrechtliche Beurteilung (Untreue, § 153 StGB) knüpft an die zivilrechtlich vorgegebenen Pflichten an. Die Tatbestandsmerkmale der Untreue gem § 153 StGB sind:

  • Eine Befugnis des Täters, über fremdes Vermögen zu verfügen, oder einen anderen zu verpflichten;
  • ihr Missbrauch, wobei dieser wissentlich zu erfolgen hat; und schließlich
  • die Herbeiführung eines Vermögensschadens.

Seine Vollmacht missbraucht, wer sie pflichtwidrig ausübt. Hier ist also auf das Innenverhältnis abzustellen, welches zivilrechtlich beurteilt werden muss. Im Übrigen muss es sich um eine Rechtshandlung (z.B. Preisnachlässe, Sonderkonditionen, Kredite an Kreditunwürdige, Verjährenlassen einer Forderung, etc.) handeln. Rein faktische Tätigkeiten scheiden für eine Tatbestandsqualifikation aus.

Unstrittig ist, dass Untreue auch durch Unterlassen begangen werden kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Machthaber es pflichtwidrig und wissentlich unterlässt, das rechtlich gebotene Tun vorzunehmen, bspw. indem er ein Rechtsmittel oder eine Klage nicht fristgerecht bei Gericht einbringt.[8] Durch Unterlassen der kostengünstigen und risikolosen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen im Wege der Prozessführung, obwohl diese Möglichkeit dem Machthaber bekannt ist, kann daher auch das Tatbild des § 153 StGB erfüllt sein.

Praktisch ist daraus abzuleiten, dass den Geschäftsführer/Vorstand zumindest die Obliegenheit trifft, die Möglichkeit der kostengünstigen und risikolosen Prozessführung den Gesellschaftern aufzuzeigen und evtl. über die Maßnahme durch Beschluss entscheiden zu lassen (§ 103 AktG und § 20 GmbH).

 


[1] Schopper/Walch in Zib/Dellinger (Hg.): Unternehmensgesetzbuch (2016) zu § 114 UGB – Geschäftsführung, 203.

[2] OGH wbl 1990, 348.

[3] Koppensteiner/Rüffler: GmbH-Gesetz (3. Auflage, 2007) zu § 25 GmbHG, Rz 10).

[4] BGBl I 2015/112.

[5] Geymayer: Die Haftung des Vorstandes einer Aktiengesellschaft für fehlgeschlagene Prozessführung. In: GesRZ 1999, 31.

[6] BGH, 21.04.1997 – II ZR 175/95.

[7] Geymayer, aaO.

[8] Pfeifer in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer (Hg.): Salzburger Kommentar zum Strafgesetzbuch (14. Lfg 2006) zu § 153 StGB, 13.